Hallo soziale Phobie,
du begleitest mich schon seit meiner Kindheit. Zwar wusste ich lange deinen Namen nicht, aber immer warst du präsent, in der Schule, unterwegs, zuhause. Wie oft war ich deinetwegen schon vor Angst wie erstarrt, habe geweint und fühlte mich als Mensch zweiter Klasse! Du machst mich unsicher im Umgang mit anderen Menschen, lässt mich die schlimmsten Erwartungen haben, zwingst mich, überangepasst zu sein und sorgst dafür, dass ich immer übertrieben auf mein Äußeres, meine Körpersprache und meine Wortwahl achte. An den Wochenenden kann ich nicht entspannen, weil ich an Montag denke. Auf der Arbeit vergleiche ich mich mit meinen Kollegen und schneide dabei immer viel schlechter als sie an. Schaut mich jemand auf der Strasse an, denke ich sofort, er will mir böses. Höre ich im Geschäft ein Lachen, denke ich sofort, man lacht über mich. Spricht mich ein Spaziergänger an, denke ich sofort, ich hätte etwas falsch gemacht. Deinetwegen kann ich nur schlecht abschalten und habe Nachts Albträume von Menschen, die mich ablehnen. Ablehnung ist lebensbedrohlich für mich, jedenfalls fühlt es sich so an, weil du dafür sorgst, dass es so ist. Manchmal bist du stärker vorhanden, mal schwächer und manchmal glaube ich, unsere Wege hätten sich getrennt. Dann fühle ich mich selbstsicher und frei. Aber schon im nächsten Moment fühle ich deine Anwesenheit wie ein Damoklesschwert, das über mir hängt.
Mit freundlichen Grüßen,
Sprotte
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Hallo Sprotte,
ja, wir kennen uns jetzt schon sehr lange. Ich bin allgegenwärtig und passe auf dich auf. So böse, wie du mich findest, bin ich nämlich garnicht. Auch wenn es dir nicht so vorkommt, versuche ich alles in meiner Macht stehende, um dich zu beschützen. Als du noch ein kleines Mädchen warst, hat man dir sehr oft wehgetan, dich kritisiert, nur beachtet, wenn du dich brav verhalten und Leistung gebracht hast. Als Kind bist du darauf angewiesen, angenommen und geliebt zu werden, denn sonst gehst du ein wie eine Blume ohne Wasser. Du warst auf deine Eltern angewiesen und durftest es dir nicht erlauben, ihre Liebe und Anerkennung zu verlieren, denn sie versorgten dich mit Essen, Kleidung und allem, was du brauchtest. Erwachsene sind ein komisches Volk. Sie wollen nur dein Bestes und spornen sich zu schulischen Höchstleistungen an, damit es dir später besser geht als ihnen und du einen angesehenen Job ergreifst, in welchem du gut verdienst. Leider haben sie es extrem übertrieben. Sie haben auch nicht gewusst, dass sie dir mit ihrem jähzornigem und vermeidendem Verhalten so sehr schaden. Deine Lehrer waren schlicht und ergreifend überfordert und deine Mitschüler waren neidisch und boshaft. Überall bekamst du Druck, nie fühltest du dich sicher. So bin ich entstanden. Menschen sind, wie du gelernt hast, eine Bedrohung und du bist gleichzeitig auf sie angewiesen. Denn ohne ihre Anerkennung bist du nichts. Wenn jemand sauer auf dich ist, weil du seine Meinung nicht teilst, ihm einen Gefallen ausschlägst oder einen Fehler machst, ist deine Existenz, dein Leben und dein Dasein bedroht. Ich sorge dafür, dass du in dieser Welt zurechtkommst, ohne unterzugehen. Ich erinnere dich daran, dass du dir keine Schwäche leisten kannst. Ich sorge dafür, dass du anerkannt und geliebt wirst, denn ohne die Liebe und Anerkennung anderer bist du nichts.
Liebe Grüße,
deine soziale Phobie.
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Hallo soziale Phobie,
auch, wenn du es gut meinst, du schadest mir mehr, als dass du mir hilfst. Deinetwegen traue ich mich fast nicht mehr, alleine einzukaufen. Was kann ich tun, um dich loszuwerden? Mal abgesehen von Psychotherapie; du weißt ja, was in der letzten Therapie passiert ist.
Machs gut,
Sprotte
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Hallo Sprotte,
wenn du mich nicht mehr brauchst, um zu überleben, werde ich verschwinden. Vielleicht werde ich hin und wieder mal an die Tür klopfen, aber kein Dauergast mehr sein.
Je mehr du dich selbst liebst, desto weniger bist du darauf angewiesen, von anderen geliebt zu werden. Verzeih dir selbst deine Fehler, dann bist du nicht mehr angreifbar. Sei dir selbst dein bester Freund. So klein, wie du dich durch mich fühlst, bist du nämlich garnicht. Jetzt bist du erwachsen und nicht mehr anderen Menschen auf gedeih und verderb ausgeliefert.
(Cool, wenn ich gleichzeitig STRG und + drücke, vergrößert sich der Bildschirm und bei STRG und – verkleinert er sich… *räusper, weiter im Text)
Geh Konflikte offen an, geb Widerworte, mit anderen Worten: Mach dich unbeliebt. Du wirst sehen, der schlimmste Fall wird nicht eintreten. Du wirst nicht aufhören zu existieren, du wirst nicht alles verlieren, du bist kein schlechter Mensch.
Alles Gute,
deine soziale Phobie.